Fehlerhafte Einwirkung:

Der Zügel

aus dem ABC der Pferdeausbildung

Korrekte Anlehnung

Was im Hals des Pferdes passiert zieht sich auch durch den Rest des Pferdekörpers. Daher ist es ausgesprochen wichtig, sich mit diesem Thema ausführlich auseinanderzusetzen, zumal die erstaunlichsten Ansichten über eine korrekte Anlehnung kursieren. Befasst man sich jedoch einmal mit der Anatomie und Biomechanik des Pferdes, wird schnell klar, warum es nur eine richtige Form der Anlehnung geben kann.

ABC der Pferdeausbildung: korrekte Anlehnung im Trab

Das Pferd hinten schließen und vorne öffnen: Durch die entspannte, natürliche Halshaltung kann die gesamte Wirbelsäule locker schwingen und die Hinterhand frei nach vorne durchfedern, das Pferd sucht von sich aus die Verbindung zur Reiterhand. Der Hals bildet einen Viertel-Kreisbogen mit dem Genick an der höchsten Stelle, die Halslinie bleibt bis zum Widerrist gleichmäßig konvex, die Stirnlinie pendelt sich von allein an der Senkrechten ein.

Übermäßige Zügeleinwirkung

Die übermäßige Handeinwirkung, d.h. das Erzeugen der Verbindung von Reiterhand und Pferdemaul durch unverhältnismäßiges Gegenhalten oder gar ziehen am Zügel ist der häufigste aller Reiterfehler. Dies ist erst einmal nur natürlich, schließlich liegt es in der Natur des Menschen, Probleme mit den Händen „anzupacken“. Nur dass die wahre Ursache der Probleme beim Reiten nicht im Maul des Pferdes sondern in der Hinterhand liegt, die vom Reiter nicht erfolgreich aktiviert werden konnte. Mein Ausbilder sagte einmal: „Wir sollten eigentlich alle andersherum, mit Blick nach hinten, auf dem Pferd sitzen, da passiert schließlich alles, worauf es ankommt!“
Wird die Beizäumung durch starke Handeinwirkung erzwungen, macht das Pferd nur den Hals krumm, ohne dass der Rücken des Pferdes sich aufwölbt oder die Hinterhand aktiv ist. Das Pferd wird nicht von hinten durch den Körper nach vorn an die Reiterhilfen getrieben und ins Gleichgewicht gebracht, sondern rückwärts in eine unphysiologische Haltung gezwungen. Daher ist es nicht nur unschön, sondern auch unsinnig, ein Pferd über energischen Handeinsatz „runterzukriegen“. Auch wenn das Pferd schießlich nachgibt ist damit noch keine Rückenaktivität gewonnen. Ein runder Hals ist kein Selbstzweck!

Genauso verhält es sich mit dem Biegen des Pferdes. Biegen ist gleichbedeutend mit Dehnen. Wird auf das Pferd mit Kraft eingewirkt, verkrampft die Muskulatur des Pferdes und ist nicht mehr dehnungsfähig. Biegung kann deswegen nicht erzwungen werden. Ganz allgemein sollte der Einsatz von Gewalt in der Reiterei ohnehin keinen Platz haben. Reiten ist eher ein Denk- oder Geschicklichkeitssport, aber keinesfalls ein Kampfsport!

Der Einsatz scharfer Gebisse ist ebenso sehr kritisch zu betrachten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein „Aufrüsten“ im Pferdemaul immer einen erhöhten Zwang ausübt.
Der leichtfertige, gedankenlose Einsatz schärferer Gebisse kann ein Pferd schnell in eine fehlerhafte Haltung, z.B. des Sich-einrollens, bringen. Selbst wenn der Zügel einer Kandare durchhängen mag, spürt das Pferd doch die Bedrohung und wird durch sich-verkriechen versuchen der Einwirkung zu entgehen. Diese Haltung mag für den beobachtenden Laien stolz und imposant aussehen und schmeichelt dem Reiter, hat aber nichts mit richtiger, relativer Aufrichtung zu tun. Auch zur „Korrektur“ von Anlehnungsproblemen ist ein schärferes Gebiss auf keinen Fall einzusetzen. Lässt sich ein Pferd nicht durchs Genick stellen oder geht es deutlich gegen die Reiterhand an, liegt eindeutig ein Ausbildungsmangel vor. Der Einsatz einer Kandare wird hier nur zur weiteren Verrohung und Desensibilisierung des Pferdes führen.
Scharfe Gebisse gehören ausschließlich in die Hände von fortgeschrittenen Reitern, die die Bedeutung des Wortes „Kandarenreife“ verstanden haben.

ABC der Pferdeausbildung: Die Rollkur ist grundsätzlich abzulehnen

Dass diese Haltung, die sogenannte „Rollkur“, falsch ist sollte jedem klar sein. Das Pferd wird durch die zu tiefe und enge Einstellung massiv auf die Vorhand gezwungen, der Rücken wird oben festgehalten, die gesamte Muskulatur verkrampft. Bei vermögenden Dressurpferden führt diese negative Spannung oft zu spektakulärer Vorhandaktion, was leider zuweilen zu der irrigen Auffassung verleitet, es handle sich um ein legitimes und hilfreiches Ausbildungsmittel.

ABC der Pferdeausbildung: absolute Aufrichtung durch fehlendes Vorwärtsreiten

Stirnlinie vor der Senkrechten ist nicht alles! Dieses Pferd wird über die Hand aufgerichtet, was zur „absoluten Aufrichtung“ führt. Dabei entsteht der „falsche Knick“ im Bereich des 3. Halswirbels. Die vor dem Widerrist in einen konkaven Schwung zurückgehende Halslinie zeigt die mangelnde Tätigkeit der Oberlinienmuskulatur. Die Kraft der Hinterbeine geht nicht nach vorn in Richtung Schwerpunkt sondern nach hinten-oben in die Kruppe, das Pferd wird „rückwärts geritten“. Zu sehen bei Pferden, die zu früh in Versammlung gebracht werden sollen oder bei Reitern, die ihr Pferd über die Hand und nicht über Sitz und Schenkel zu versammeln versuchen. Auch eine hoch geführte Hand bringt ein Pferd leicht in diese Fehlhaltung.

ABC der Pferdeausbildung: absolute Aufrichtung durch inaktive Hinterhand

Auch hier tritt deutlich der „falsche Knick“ zum Vorschein. Das Pferd wurde in die Verkürzung geritten bevor die Oberlinie über die Dehnungsarbeit ausgeprägt worden ist. In der Folge wölbt sich beim Zusammenstellen des Pferdes der Rücken nicht nach oben auf, sondern drückt, da die Muskulatur schwach und nicht hinreichend gefestigt ist, nach unten durch. Entsprechend der unterentwickelten Rücken- ist auch die Hinterhandmuskulatur nicht genügend ausgeprägt.
Durch die fehlende Muskelaktivität in der Oberlinie wirken Hals- und Rückenpartie flach und eindimensional, es fehlt jeglicher Ausdruck von Vitalität und Spannkraft.

Reiten in Dehnungshaltung

ABC der Pferdeausbildung: die korrekte Dehnungshaltung

Bei der Dehnungshaltung muss berücksichtigt werden, dass es nicht darum geht, das Pferd möglichst tief einzustellen. Die Nase des Pferdes sollte in der Regel nicht tiefer als auf Höhe Buggelenk kommen. Wird das Pferd sehr tief eingestellt, kommt zu viel Gewicht auf die Vorhand und die Kruppe des Pferdes hebt sich an. Zudem wird die Unterhalsmuskulatur bei zu niedriger Kopf-Hals-Haltung wieder aktiv. Welches die ideale Einstellung ist wird entscheidend vom jeweiligen Exterieur mitbestimmt.
Die Zügelverbindung soll in der Dehnungshaltung erhalten bleiben, das Pferd strebt durch die Dehnung der Oberlinie konstant zur Reiterhand.

ABC der Pferdeausbildung: Pferd auf der Vorhand durch hingegebenen Zügel

Das Pferd mit hingegebenem Zügel mit der Nase am Boden laufen zu lassen hat zwar etwas mit einem lockeren Rücken, jedoch nichts mit Dehnung zu tun. Meist bleiben Pferde bereitwillig in dieser Haltung solange der Zügel durchhängt. Beim Versuch des Aufnehmens entstehen aber schnell Probleme, wenn dem Pferd nicht gezeigt wurde, wie es durch Aufwölben des Rückens an den Zügel heranzutreten hat.

ABC der Pferdeausbildung: erzwungene tiefe Einstellung ist keine Dehnungshaltung

Dehnung entsteht, indem das Pferd von hinten nach vorn herangetrieben wird und so beim Angebot durch die vorfühlende Reiterhand von sich aus Richtung vorwärts-abwärts strebt. Das Pferd mit der Hand tief einzustellen und dort festzuhalten führt hingegen nicht zum erwünschten Dehnungseffekt. Zu tiefes Einstellen, dazu auch noch mit der Stirnlinie weit hinter der Senkrechten, bringt das Pferd zudem vermehrt auf die Vorhand.

Reiten am hingegebenen Zügel

Ein durchhängender Zügel hingegen vermittelt im ersten Moment vielleicht angenehme Zwanglosigkeit. Die Halswirbelsäule ist frei, von hier kann kein Schaden ausgehen. Jedoch entfällt durch die Zügelverbindung der Rahmen, in dem das Pferd dazu angehalten werden kann seinen Rücken aufzuwölben. Das Pferd kann am hingegebenen Zügel sehr wohl zur Losgelassenheit kommen, ein gezieltes Herantreiben der Hinterhand zum Aufbau der Rückenmuskulatur ist aber ohne einen Gegenpol zur treibenden Hilfe nicht möglich (siehe Anlehnung). Die Annahme, mit hängenden Zügel würde man „natürlich“ reiten und dem Pferd so „nichts tun“, stimmt also leider nicht ganz. Reiten an sich ist nicht natürlich, kein Pferderücken ist zum Lastentragen geboren. Die Anlehnung dient dazu, dem Pferd zu ermöglichen, die Last in gesunder, künstlich erworbener Körperhaltung zu tragen.

ABC der Pferdeausbildung: durchhängender Rücken am hingegebenen Zügel

Ohne die Zügelverbindung als Gegenpol zum treibenden Schenkel kann sich kein Spannungsbogen aufbauen, es entsteht keine Dehnung und damit auch kein Aufbau der Rückenmuskulatur. Das Pferd läuft ohne Rücken und auf der Vorhand.

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